Von Camarones bis zur nächstgrösseren Stadt Comodoro Rivadavia hat sich die Strecke wie Kaugummi gezogen. Alle paar Kilometer war Fahrerwechsel angesagt, damit man nicht über dem Lenkrad einnickt. In Comodoro – einem Versorgungsstädtchen zwischen Süden und Norden - mussten wir furchtbar viel erledigen. Wir parkten unser Auto in einer belebten Seitenstrasse und legten los. Als wir nach einigen Stunden zurückkamen, wollte ich auf der Beifahrerseite aufschliessen und merkte, dass das Schloss nicht mehr funktionierte. Oha, da hat jemand mit einem Schraubenzieher ins Schloss reingestochen, - allerdings muss es ein Anfänger gewesen sein, da er es nicht geschafft hat aufzumachen und aus dem Auto nichts fehlte - glücklicherweise - weil Roman ausnahmsweise sein ganzes Hab und Gut in der Fahrerkabine deponiert hatte.
Auf dem Campingplatz bei Comodoro/Rada Tilly treffen wir am 2. Tag unsere geliebten Tabu-Spielpartner Maitte und Rainer wieder. Die neue ausgetüftelte Strategie beim Tabu-Spiel verhalf dem Männerteam aber nicht zum Sieg. Rainer war näher dran als je zuvor an Romans Erklärungsversuchen zu kollabieren…Am nächsten Tag trennten sich unsere Wege erneut, zum Abschied steht der "verwirrte Professor mit seinem Mutti" am Ausgang des Campingplatzes und winkt uns mit allem was sie haben….
Von Rada Tilly abwärts haben wir nur noch Kilometer gefressen und einen Tank nach dem anderen geleert. Jetzt wollen wir endlich das Ende der Welt erreichen - und ausserdem hoffen wir, dass wir vielleicht vor den anderen Weihnachtstouristen ankommen und ein Last-Minute-Schnäppchen für eine Antarktis-Reise machen können.
Um das Gebiet Feuerlands zu erreichen, muss man etwa 30 Minuten mit einer Fähre die Magellanstrasse überqueren und zweimal einen Grenzübergang mit den ganzen Formalitäten über sich ergehen lassen.
Den argentinisch-chilenischen Grenzübergang meisterten wir recht schnell. Das Fleisch in meiner Handtasche versteckt, liessen wir die Zollbeamten beruhigt in unserem Kühlschrank herumschnüffeln – gemäss den Schildern sind tierische Produkte, Früchte und Gemüse verboten. Allerdings ist das ganze unserer Meinung nach eine Alibi-Übung und wird von ihnen nur so intensiv parktiziert, weil sie unser Fahrzeug von innen sehen wollen. Die Einrichtung interessiert sie mehr, als das wonach sie eigentlich suchen (sollten). Sie beschlagnahmen eine halbe Zwiebel, eine Tomate und eine Banane. Warum wir die ganze Zwiebel und den Käse behalten dürfen, wissen wir nicht. Die blicken vermutlich selber nicht durch….
Was folgte war 130 km katastrophale Schotterstrasse mit nahezu einem halben Meter tiefen Schlaglöchern. Die Fahrt hat uns alle Konzentration abverlangt – von der Landschaft Feuerlands haben wir nichts gesehen. Damit das Auto bei solch einer kraterdurchzogenen Strasse in einem Teil und nicht in tausend Einzelteilen ankommt, muss man so schnell fahren, dass man quasi über die Löcher drüberfliegt. Das geht alles solange gut, solange keine Kurve kommt oder kein Lastwagen, oder sonst was, was einen zum Bremsen zwingt. Bei der Beschleunigung und beim Runterbremsen nimmt man jedes Schlagloch furchtbar intensiv mit und es scheppert und kracht und man leidet mit dem Auto mit. Keine Ahnung wieviel Stossgebete ich zum Himmel geschickt habe, dass unser armer Guschti nicht auseinanderfällt. Leider hat sich unser rechter Aussenspiegel verabschiedet, - durch die Schläge einfach abgebrochen - , der Kühlerschlauch rinnt, und die Deckel vom Wasserkanister in der Kabine hats davongejagt und das Wasser ist aus den Kanistern geschwabt.
Völlig durchgeschwitzt sind wir etwa 2 Stunden später am chilenisch-argentinischen Grenzübergang angekommen. Woah ne, das kann nicht wahr sein oder? Eine riesige Schlange vor dem Zollhäuschen. Klar! – Ferienbeginn! – alle wollen in die entgegengesetzte Richtung – aufs Festland zu ihren Familien und müssen für die 150 km durch chilenisches Gebiet alle diese fürchterlichen Formalitäten der Ein-und Ausreise über sich ergehen lassen. Wir fahren 1 km zurück und entschliessen uns, morgen früh sehr bald aufzustehen und das Ganze dann in Angriff zu nehmen – da werden ja sicher nicht so viele anstehn. Gesagt getan, 0430 Uhr stehen wir auf – hell ist es sowieso schon seit 0400 Uhr – und fahren zur Zollabfertigung. Wir trauen unseren Augen nicht – oh nein, die Räumlichkeiten des Grenzhäuschens sind vollgestopft mit Leuten. Wir können die Tür noch nicht mal richtig öffnen, als uns schon der erste Wartende entgegenschreit: „Nein – hier nicht – an der anderen Seite ist der Eingang!“. Ah zum Glück – dachten wir. Wir gehen zu einer anderen Tür und werden dort auch schon von einigen Wartenden mit den Worten begrüsst „el ultimo“ dort (der letzte der Schlange steht dort). Ok wir nehmen den Platz ein, den man uns mitten in einem ungeordneten Chaos an Menschen zugewiesen hat. Dann realisieren wir unsere Situation: Die Schlange macht hier einen dreifach-Kreis, schlängelt sich durch den ganzen Raum, bildet auf der anderen Seite wieder einen dreifach- Kreis und endet dann vor dem einzigen offenen Schalter….Ne oder – wir müssen hier falsch sein – wir wollen doch in die andere Richtung als alle anderen. Roman bleibt stehen, ich quetsch mich durch die Menge durch und frage bei dem Beamten nach, ob wir für uns für die Einreise auch hier anstellen müssen. Eigentlich hätte ich es mir fast denken können, - ist ja kein anderer Schalter offen…
In den nächsten 3 Stunden kippt unsere Stimmung zwischen Lachen vor Verzweiflung, bis völlig genervt sein, von dem fürchterlichen Mief, dem Gequetsche und dem Hass auf den argentinischen Zoll – nur 1 Schalter offen zu haben. Ja gut, nach knapp 3 Stunden sind auch wir endlich an der Reihe und laufen nach 10 Minuten jubelnd aus diesem verdammten Gebäude. Beim Verlassen merken wir, dass unser frühes Aufstehen belohnt wurde. Mittlerweile hatte sich eine etwa 200 Meter lange Schlange vor dem Gebäude gebildet – und das bei Temperaturen, die eine lange Unterhose vertragen! Die armen Argentinier – die dieses ganze Theater (bei den argentinischen Behörden für die Ausreise!) nur durchmachen müssen, um dann nach 150 km chilenischem Gebiet, wieder nach Argentinien einreisen zu können.
Man wage es nicht, auch nur 1 Sekunde zu spät bei grün an der Ampel loszufahren , da bricht ein riessiges Hupkonzert aus – aber hier warten sie stundenlang für lächerliche 150 km, die sie durch chilenisches Gebiet reisen müssen. Wie wir später von anderen deutschen Reisenden erfahren haben, mussten andere Touris knapp 7 Stunden warten….
Am Samstag kurz nach 1200 Uhr erreichten wir sie endlich: die südlichste Stadt der Welt „Ushuaia“. Um das Feeling zu geniessen, haben wir allerdings keine Zeit. Schnell alle Reisebüros abklappern, bevor die schliessen, um morgen noch mit dem nächsten Schiff in die Antarktis zu können. Die Wäsche wollten wir auch noch möglichst bis am Abend gewaschen und getrocknet haben…Wir sind wie die Irren durch die Strassen gerannt – schliesslich macht ja wieder alles von 1300 – 1600 Uhr zu. Ähnlich wie in San Francisco gehen hier die Strassen auch runter und rauf – nur noch steiler!
In einem Reisebüro können wir dann tatsächlich ein Schnäppchen machen. Mit einem Rabatt von sagenhaften 21.000 US-Dollar kriegen wir günstigst eine 3-wöchige Reise in die Antarktis, zu den Falklandinseln und Südgeorgien. Da müssen wir zuschlagen – dank der Wirtschaftskrise werden die Restplätze hier zu Spottpreisen verscherbelt. Juhuuu – am 29.12. geht es los!
Der nächste Schock erwartet uns auf dem Campingplatz: ein deutsches Wohnmobil neben dem anderen – ja nein – wo kommen die denn alle her…
Wir halten es 2 Tage aus, flüchten danach aber in den 12 km entfernten Nationalpark, wo wir allerdings ebenfalls vergebens versuchen, einen stillen Fleck ohne deutsche, schweizerische oder österreichische Präsenz zu finden. Hier lernen wir zwei Össis kennen, die dieselbe Reise auf demselben Schiff gerade beendet haben, wie wir sie antreten. Alles soll megatoll sein, bis auf die Drake-Passage, wo das Schiff in alle 4 Himmelsrichtungen durchgeschüttelt wird und sich quasi alle Passagiere mehrere Tage trotz Medikamenten übergeben mussten. Gut – mir wird eigentlich nie schlecht – aber Roman ist sicher ein Kandidat!!!
Das nächste Highlight erwartete uns am 24.12. Wir waren von einer argentinischen Familie zu Heiligabend eingeladen worden, die wir 3 Wochen zuvor auf einem Campingplatz kennengelernt hatten. Natürlich schauten wir 2 Tage zuvor schon mal vorbei, um abzuklären, ob das mit der Einladung auch ernst gemeint war....
Also erschienen wir an Heiligabend bei Oscar, Graciela, Carolina, Lorena und Macarena mit ein paar Flaschen Wein und Bier und ein paar kleinen Geschenken. Um 2100 Uhr besuchten wir zusammen mit den beiden Töchtern Lorena und Macarena die Christmette in der katholischen Kirche. Beim Betreten wurden wir – wie alle anderen auch – mit einem Kuss durch den recht jungen Pfarrer begrüsst. Die Messe selber war für uns eine der schönsten Messen, die wir je erlebt haben. Der Pfarrer hatte eine einzigartige Ausstrahlung, sprach sehr verständlich und interessant – alle klebten förmlich an seinen Lippen. Am Ende brachte eine Mutter ihr Baby zum Altar und übergab es dem Pfarrer. Der wirbelte es durch die Luft – wie bei einem Kreuzzeichen und küsste und streichelte es. Zu guter letzt lud er alle zum anschliessenden Kaffee ein. In Gedanken waren wir schon beim anschliessenden Festessen, als wir plötzlich „Freunde aus der Schweiz“ und unsere Namen hörten und dass wir die Hand heben sollen, damit man uns sieht. Alle haben geklatscht, wir beide sind knalle rot angelaufen und es war uns echt alles andere als recht, dass man uns solche Aufmerksamkeit schenkt. Wir waren so gerührt, wie herzlich man uns hier aufgenommen wird. Das ganze haben wir natürlich Lorena zu verdanken, die es vor dem Gottesdienst dem Pfarrer gesteckt hat, wer wir sind und woher wir kommen. Lorena sagte uns danach, dass der Pfarrer sehr stolz darauf war, dass wir an seinem Gottesdienst in seiner Kirche teilgenommen haben und er es deshalb seiner Gemeinde mitteilte. Vor dem Verlassen der Kirche küsste jeder das Jesuskind, das in den Armen des Pfarrers lag (Schweinegrippe lässt grüssen!).
So jetzt – endlich essen, mittlerweile war es ja schon 22 Uhr, aber immer noch hell. Genaugenommen, wird es hier im Sommer nur von 00 Uhr bis ca. 0330 Uhr richtig dunkel. Es gab Lamm und Rippchen vom Grill und zur Vorspeise Sushi. So sassen wir da mit insgesamt 10 anderen Personen und schlemmten bis kurz vor Mitternacht. Auf einmal brach Hektik aus, der Fernseher wurde eingeschaltet, die Sektflaschen wurden auf den Tisch gestellt und dann der Countdown runtergezählt. Aha! - jetzt checken wir das – die feiern den Beginn des 25.12. so wie wir den Beginn des neuen Jahres. Um punkt 00 Uhr stiessen alle an, fielen sich um den Hals, knutschen sich ab und wünschten frohe Weihnachten. Anderorts flogen die Raketen und Böller in den Himmel….Danach rannten alle zu den Geschenken und rissen die Verpackungen auf – innerhalb von geschätzten 2 Minuten war die Bescherung beendet. Sogar für uns hatten sie 2 Bierkrüge als Andenken von Ushuaia organisiert, - wie herzig – wir hatten echt riesig Freude. Wir haben der Familie ein lustiges Gesellschaftsspiel geschenkt, an dem sie auch richtig Freude hatten. Kurz darauf kamen schon die Nachbarn herein und wieder wurden alle abgeknutscht (Schweinegrippe lässt grüssen!).
Alle wollten furchtbar viel von uns wissen und löcherten uns über alles mögliche. Wir waren schweissgebadet von der andauernden Konzentration, das gesprochene Spanisch zu verstehen und dann auch noch einigermassen verständlich zu antworten. Und die nächste Einladung für ein weiteres Grillfest am 28. haben wir auch schon bei den Nachbarn der Familie….